Bild: Städtische Galerie

 German Pop

I like FORTSCHRITT – German Pop reloaded

Wiedersehen mit Werner Berges, Fritz Köthe, Hannsjörg Voth & Co.

Meisterwerke der Deutschen Pop Art im Schwenninger 'Lovis-Kabinett'

Die amerikanischen Pop Art-Künstler der 1960er- und 1970er-Jahre mit Andy Warhol, Roy Liechtenstein oder Robert Rauschenberg sind weltbekannt. Doch zeitgleich experimentierten Künstlerinnen und Künstler mit den Möglichkeiten der selben Bildsprache in England, eher im Untergrund in Estland und in der DDR, und mit öffentlichen Skandalen und Spektakel in der Bundesrepublik Deutschland. Die Ausstellung 'I like FORTSCHRITT – German Pop reloaded' – erarbeitet in Kooperation mit den Kunstmuseen Mühlheim an der Ruhr und Heidenheim – präsentiert Meisterwerke der deutschen Pop Art aus der Privatsammlung des Nervenarztes und Psychoanalytikers Hartmut Kraft im 'Lovis-Kabinett' vom 25. Juni bis 27. August 2017. Zu den mehr als 100 Bilder, Grafiken und frühen Video-Arbeiten aus der Kölner Privatsammlung werden neun Bilder und Skulpturen der beteiligten Künstler aus der Sammlung der Städtischen Galerie sowie das Multiple 'Deutsches Notstandsschwein' von Hans Peter Alvermann gezeigt.

Im Festjahr zur Ersterwähnung von Schwenningen, Tannheim und Villingen '817-2017' ist die Ausstellung ein Beispiel zum Jubiläumsmotto 'Aufbruch: Wege in die Zukunft'. Denn im Kleinen Saal des Theaters am Ring waren bereits 1974 Werke von Hannsjörg Voth zu sehen. Ein Jahr später konnten Kunstinteressierte das künstlerische Schaffen von Fritz Köthe und Rolf Glasmeier kennen lernen. Werner Berges, Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts Mitgründer der Ausstellungsgemeinschaft Großgörschen 35 in Berlin, zeigte seine Bilder 1988 im Wechselausstellungsbereich des Franziskanermuseums in Villingen-Schwenningen. Somit ist die Ausstellung 'I like FORTSCHRITT – German Pop reloaded' zugleich Reminiszenz an Felix Schlenker, der vor mehr als vier Jahrzehnten die Anregungen zur Präsentation dieser jungen und unbekannten Künstler gab. Denn auch damals war dies ein spannender 'Weg in die Zukunft'. Aus heutiger Sicht waren diese Ausstellungen abseits der Metropolen sensationell: Am 'Puls der Zeit' konnte aktuelles Kunstschaffen der jungen deutschen Avantgarde kennen gelernt werden und die noch unbekannten Künstler erfuhren durch die Ankäufe ihrer Werke für die Sammlung der Stadt selbst Anerkennung und Förderung in ihrem künstlerischen Wirken.

Was war das Neue, zu dem sich die Pop Art-Künstler bekannten? Nach den Schrecken des II. Weltkrieges hatte sich die Kunstwelt auf gegenstandslose, abstrakte oder konkrete Bildfindungen konzentriert. Für die Künstler des Informell oder des Tachismus lagen die aus faschistischer Ideologie mit ihren Verbildlichungen kraftstrotzender Herrenmenschen geformten figurativen Bildwelten weit zurück. Und auch den aus sozialistischer Utopie geprägten Bildfindungen mit ihrem forschglücklich und energiegeladenen Menschentypus galt es Paroli zu bieten. Die Künstler der Nachkriegsgeneration suchten andere Ausdrucksmittel, um sich im Alltag der 50er und 60er zu behaupten. Die nachfolgende Künstlergurppe ZERO mit Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker fand neue Materialien für ihr Kunstwollen: Aluminium, Plexiglas oder auch mit simplen 'Rauchzeichen' schufen sie bis dato nie gesehene Kunstwerke. Zeitgleich erweiterten die Künstler der Pop Art dieses Spektrum, in dem sie banale Alltagsdinge für kunstwürdig erklärten, Reklame- und Werbesprache adaptierten, mit grell-leuchtende Farbfindungen Zeichen und Signets setzten, oder Comicbilder und sexistische Werbefotos verfremdeten. Werke von Winfred Gaul – der Ausstellungstitel ist seinem Bild von 1964 'I like FORTSCHRITT' entlehnt –, Peter Brüning, Hans-Jürgen Kleinhammes oder Arnold Leissler sind Beispiele hierfür. Für ihre Kunst nutzten sie zudem "Rückgriffe auf Trivialliteratur, Science Fiction, Pop- und Rockmusik als Quelle" für ihre Bildfindungen, schreibt Beate Reese im Ausstellungskatalog. Und weiter: "Die Aufwertung des scheinbar Wertlosen und Banalen relativiert das als kulturell wertvoll Erachtete und Institutionalisierte".

So galt es an den Universitäten und im bürgerlichen Alltag "Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren" zu 'entstauben' und die jüngere Geschichte in Deutschland mit seinem menschenverachtenden Regime und den Verbrechen an jüdischen Menschen und anderen Minderheiten kritisch zu reflektieren. Eindrucksvoll ist dies in den Arbeiten 'Treblinka' von 1967 'Rudi und Gretchen Dutschke' oder 'B 52 Lippenstiftbomber', beide 1969 entstanden, von Wolf Vostell dokumentiert. Im gesellschaftlichen Diskurs der jungen Generation standen neben dem steigenden Konsum, den politischen Spannungen im Kalten Krieg, der zeitnahen medialen Berichterstattung im Vietnam-Krieg mit brutalen Bildern der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ein bedingungsloser Fortschrittsglaube – am 3. Dezember 1967 gelang dem südafrikanischen Chirurgen Christiaan Barnard die erste Transplantation eines menschlichen Herzens; am 20. Juli 1969 waren Neil Armstrong und Buzz Aldrin auf dem Mond gelandet – im Fokus. Die Hippie-Bewegung als betont antibürgerliche und pazifistische Lebensform und der Proklamation der 'freien Liebe' der sogenannten 'Blumenkinder', mit Thesen zur antiautoritären Erziehung, mit sozialen Bewegungen wie der Umwelt-, der Anti-Atomkraft- oder der Frauenbewegung, all diese Themenfelder kollidierten mit überkommenen und  konservativen Gesellschaftsmodellen in diesen Jahren. Mit ihrer Kunst reagierten die Pop Art-Künstler auf diese radikalen kulturellen Umbrüche und sie nutzten die neue Bildsprache zum Protest und zur Provokation. Zudem etablierten sie in ihrem Schaffen neue Vorstellungen von dem, was Kunst im Alltag der (fast) grenzenlosen Wirtschaftswunderzeit leisten kann.

Die Ausstellung 'I like FORTSCHRITT – German Pop reloaded' gibt in sechs thematisch gegliederten Segmenten – 1. Der neue Blick auf Zeichen und Symbole; 2. Der neue Blick auf Politik und Gesellschaft; 3. Der neue Blick auf Stadt und Land; 4. Der neue Blick auf den Körper; 5. Der neue Blick auf Technik und Objekte; 6. Pop Art vor Pop Art – an herausragenden Meisterwerken von 36 Künstlern einen Einblick in das Bilderdenken der 60er und 70er Jahre im vergangenen Jahrhundert. Bildmächtige Erinnerungen an die Jugendzeit erleben ältere Kunstinteressierte in der farbenprächtigen Ausstellung; junge Besucher können die ästhetische Farben- und Formenwelt ihrer Eltern und Großeltern an wunderbaren Kunstwerken erfahren.

Künstler: Otmar Alt, Joachim Bandau, Thomas Bayrle, Werner Berges, KP Brehmer, Peter Brüning, Gernot Bubenik, Achim Duchow, Hans-Dietrich Froese, Winfred Gaul, Rolf Glasmeier, Sine Hansen, Siegfried Kischko, Konrad Klapheck, Hans-Jürgen Kleinhammes, Axel Knopp, Fritz Köthe, Ferdinand Kriwet, Karl Krüll, Jens Lausen, Arnold Leissler, Konrad Lueg, Jobst Meyer, Rune Mields, Siegfried Neuenhausen, Werner Nöfer, Wolfgang Oppermann, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Rissa, HA Schult, Peter Sorge, Klaus Staeck, Wolf Vostell, Hannsjörg Voth, Lambert Maria Wintersberger, Josef Wittlich

Ausstellungsdauer

25. Juni bis 27. August 2017

Gefördert von

Sparkasse Schwarzwald-Baar