Bild: Städtische Galerie

 70 Jahre 'Lovis-Presse'

Die 'Schwenninger Lovis-Presse', oder: Freiheit für die Kunst

Druckpresse feiert 70-jähriges Jubiläum

Vom 22. Januar bis 12. März 2017 zeigt die Städtische Galerie Villingen-Schwenningen im 'Lovis-Kabinett' die Ausstellung '70 Jahre Lovis-Presse Schwenningen 1947-1949' mit Werken von Curth Georg Becker, Otto Dix, Erich Heckel, Walter Herzger, Werner Gothein, Erich Kuhn, Gertraud Rostosky und Wilhelm Schnarrenberger. Im Zentrum der Ausstellung stehen neben Ölbildern, Aquarellen, Zeichnungen und Druckgrafiken sechs großformatige Pastelle von Werner Gothein – Schüler von Ernst Ludwig Kirchner –, die der Künstler zu Georg Büchners Werk 'Woyzeck' ca.1918/19 gefertigt hatte. Diese Kunstwerke, heute im Eigentum der Städtischen Galerie, sind die weltweit ersten Arbeiten im Bereich der Bildenden Kunst, die zu dem Dramenfragment von Büchner geschaffen wurden. Eine szenische Lesung des Theaterstücks mit Migranten – von der Baden-Württemberg Stiftung finanziell unterstützt – wird in der Ausstellung aufgeführt.

Die Ausstellung '70 Jahre Lovis-Presse Schwenningen 1947-1949' im Jubiläumsjahr, das unter dem Motto 'Aufbruch – Wege in die Zukunft' steht und an die Ersterwähnung von Schwenningen, Tannheim und Villingen in einer Kaiserurkunde Ludwigs des Frommen vom 4. Juni 817 erinnert, zeigt mit herausragenden Werken bedeutender Künstler die Zeit des Aufbruchs nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Nach zwölf Jahren Diktatur stand die 'Schwenninger Lovis-Presse' für ein grundlegendes Menschenrecht: Freiheit für die Kunst. So sind in der Ausstellung mehr als 140 Werke von ehemals von den Nationalsozialisten verfemten Künstlern, die Arbeits- und auch Ausstellungsverbot hatten, zu sehen. Neben den Druckgrafiken, die in der 'Lovis-Presse' erschienen sind, werden weitere Arbeiten präsentiert, die von den Künstlern der 'Lovis-Presse' ab 1988 für die Sammlung der Städtischen Galerie erworben werden konnten.

28. Januar 2017, 19 Uhr: Premiere 'Szenische Lesung Woyzeck'

Regie: Eric Nikodym; Musik: 'Open Source Guitars' (OSG), Staatliche Hochschule für Musik Trossingen; Dokumentarfilm: Klaus Peter Karger

Im Rahmenprogramm zur Ausstellung '70 Jahre Lovis-Presse Schwenningen 1947-1949' wird am 28. und 29. Januar 2017 eine szenische Lesung zum Bühnenstück 'Woyzeck' mit Menschen unterschiedlichster Herkunft aufgeführt, die in Villingen-Schwenningen eine neue Heimat gefunden haben. Als Regisseur wirkt Eric Nikodym vom Badischen Staatstheater Karlsruhe mit; assistiert von Marion Eckert-Merkle und Dr. Anja Rudolf. Musiker der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen werden eine Komposition zur Uraufführung bringen, welche die szenische Lesung 'dramatisch' begleitet. Das Ensemble 'Open Source Guitars' (OSG) wird dabei Klangräume von 'un-erhörter' Weite und fantastischer Dichte dem theatralischen Geschehen zuordnen. Der Filmemacher Klaus Peter Karger hält in seinem künstlerischen Dokumentarfilm dieses Projekt in 'laufenden' Bildern fest. In eigenständiger Film-Sprache soll das Werden des Projekts die Transformation der Bilder von Werner Gothein mit der 'szenischen Lesung' der Menschen, die bei uns eine neue Heimat finden, und der außergewöhnlichen Gitarren-Musik, nachgezeichnet werden. Diese szenische Lesung des Theaterstücks mit Migranten wird von der Baden-Württemberg Stiftung gefördert.

Zur Geschichte der 'Lovis-Presse'

Der Arzt Dr. Franz Georg Ludwig (Lovis) Gremliza (*16. September 1912 - † 27. Januar 2002) kam von der russischen Frontlinie 1944 nach Schwenningen am Neckar und übernahm die vakante Praxis des 84-jährigen Kollegen Dr. Fritz Sänger. Als am 20. April 1945 marokkanische Kampfeinheiten von Nordosten über Weilersbach und Dauchingen in die Neckarstadt zogen und am Tag darauf Oberbürgermeister Dr. Otto Gönnenwein offiziell die Stadt im Hauptquartier des Feldkommandanten an die französische Besatzungsmacht übergab, war der Zweite Weltkrieg für Schwenningen vorbei.

Gremliza wuchs in einem sozialdemokratisch geprägten Elternhaus auf und verbrachte seit seinem 14. Lebensjahr seine Ferien als Austauschschüler, organisiert von der 'Liga für Menschenrechte', in Paris und in der Normandie. So beherrschte er die französische Sprache ausgezeichnet und konnte Medizin in Würzburg und in Nancy studieren. In Schwenningen interessierte sich der französische Ortskommandant bald für den frankophilen Arzt. Und als es darum ging, wer das Centre d'Information, eine Einrichtung zur 'Um-Erziehung' der deutschen Bevölkerung, leiten sollte, fiel die Entscheidung des Chefs der Militärregierung in Württemberg-Hohenzollern, Generalgouverneur Guillaume Widmer in Tübingen, auf den 'Franzosenlouis', wie die Schwenninger Bevölkerung etwas respektlos ihren 'reingeschmeckten' Doktor nannte. Das Centre d'Information wurde im Ladenlokal des Friseurs Reimann in der Harzerstraße 19 eingerichtet. Hier organisierte Gremliza Anfang 1947 kleine Ausstellungen mit Kunstreproduktionen impressionistischer Meister, doch nur wenige Besucher, »ein paar Lehrer und wenige andere«, wie Gremliza später erzählte, kamen zu diesen Veranstaltungen. Das Interesse der Schwenninger wuchs, als das Centre d'Information in die städtische Verwaltung integriert wurde und das kulturelle Angebot fortan unter dem Namen 'Städtische Ausstellungen Schwenningen am Neckar – Centre d'Information' firmierte. Im Sommer 1947 wurde die erste Ausstellung mit Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen von Gertraud Rostosky eröffnet. Dieser ersten Kunstausstellung folgten weitere mit Werken von Erich Kuhn und Wilhelm Schnarrenberger, Japanholzschnitte von Masanobu, Harunobu, Utamaro und Toyokuni I., Bilder und Druckgrafiken von Erich Heckel, Otto Müller, Walter Herzger und Werner Gothein.

Im Gespräch mit Wilhelm Schnarrenberger am 24. Mai 1947 wurde die Idee geboren, Auflagendrucke in Künstlermappen herauszugeben. Die Bezeichnung 'Lovis-Presse' für die neue Künstlerpresse schlug Siddi Heckel vor – nach dem französisierten Vornamen Franz Georg Ludwig (Lovis) Gremliza. Und in Alfons Himmelsbach – er war Lithograf an der Kunstgewerbeschule auf dem Weißenhof in Stuttgart und arbeitete über 70-jährig in der Buchdruckerei Link in Schwenningen – fand Gremliza einen versierten Fachmann für die Herstellung der Künstlergrafiken, denn Himmelsbach beherrschte neben dem Druck von Holzschnitten die lithografischen Techniken des Umdrucks und auch des Mehrfarbendrucks.

Im Juli 1947 verlegte Gremliza von Gertraud Rostosky die erste Künstlermappe mit zehn Original-Lithografien und im Herbst wurde ihr Buch 'Schöpferische Geister' veröffentlicht. Die Mappe von Curth Georg Becker enthielt zehn Holzschnitte. Otto Dix schuf 30 Lithografien und drei im Mehrfarbendruck. Werner Gothein legte die Mappe 'Der See' mit zehn Holzschnitten, die Holzschnitt-Bücher 'Die 12 Tierkreiszeichen' und 'Die Seiltänzerin und ihr Clown' sowie Holzschnitte zum Plakat der 'Seiltänzerin', die Einladung zum Lichtbildvortrag zur 'Seiltänzerin' und das Motiv 'Zirkus' als Einladungskarte zur Ausstellung auf. Erich Heckel fertigte neun Lithografien und eine im Mehrfarbendruck sowie einen Holzschnitt für den Katalogumschlag, der zugleich als Plakat zur Ausstellung verwendet wurde. Von Walter Herzger wurden sechs Radierungen, ein Linolschnitt und ein Holzschnitt herausgegeben. Erich Kuhn fertigte das Plakat zu seiner Ausstellung als Lithografie. Wilhelm Schnarrenberger druckte eine Mappe mit acht Steindrucken, eine Lithografie als Plakat zur Ausstellung und eine Lithografie als Katalogumschlag.

Die 'Lovis-Presse' publizierte eineinhalb Jahre lang, von 1947 bis 1949, in der Industriestadt Schwenningen und war neben der Stuttgarter 'eidos-presse' die erste Druckpresse im freien Deutschland. Als Gremliza die Neckarstadt im Dezember 1949 verließ – er überwarf sich mit seinen Medizinkollegen über Fragen der Organisationsstruktur ihres Berufstandes und war fortan fast zwanzig Jahre im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Epidemiologe sozialmedizinisch in Iran, Indien, Afghanistan, Nepal und Thailand tätig; ab 1968 übernahm er eine vakante Praxis in München – ging eine kurze, jedoch fruchtbare Zeit, ein kleines, doch bedeutendes Kapitel Kunstgeschichte, zu Ende.

Ausstellungsdauer

22. Januar bis 12. März 2017

Gefördert von

Sparkasse Schwarzwald-Baar